Die transformative Kraft der Schule für die Umsetzung der Global Goals
Eine Anstiftung zum mutigen Handeln in globaler Verantwortung
Die Vereinten Nationen haben 17 Globale Ziele zur nachhaltigen Entwicklung verabschiedet, die bis 2030 umgesetzt werden sollen – eine große Herausforderung auch für die Schulen. Die Menschheit steht vor entscheidenden Weichenstellungen. Menschliches Zusammenleben ist künftig auf Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen angewiesen. Ein grundlegender Einstellungswandel ist erforderlich. Was bedeutet das für die Schulen? Wo stehen wir heute?
Von der Agenda 21 zu den Global Goals
Ich fange diesen Bericht an mit meinem persönlichen Weg von der Agenda 21 zu den Global Goals, denn dieser hat mein pädagogisches und bildungspolitisches Handeln grundlegend geprägt. 1992 hat mich die AGENDA 21, das Abschlussdokument der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, tief beeindruckt und zum Handeln bewegt. Entscheidend hierfür war der Bericht der Kommission um Jacques Delors, die nach der Weltkonferenz beauftragt wurde zu erforschen, was die AGENDA 21 für den Bildungsbereich impliziert. 1996 wurde dieser Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert in von der UNESCO im Buch „Learning, the treasure within“ – „Lernfähigkeit, unser verborgener Reichtum“ veröffentlicht. Das Forscherteam plädiert darin für eine Neuausrichtung und Neuorganisation des Curriculums im 4 Säulen Modell:
- Lernen, Wissen zu erwerben
- Lernen, zusammen zu leben
- Lernen zu handeln
- Lernen zu sein
Dieses Buch hat mich gleichermaßen fasziniert und ermutigt. Die Kommission war vor mehr als 20 Jahren überzeugt: Bildung muss die Saat eines neuen Humanismus werden. Ein Humanismus, der deutlich durch eine ethische Komponente charakterisiert ist und sein Gewicht auf Wissen und Respekt vor anderen Kulturen und spirituellen Werten verschiedener Zivilisationen legt. Lernen soll mithelfen, ein aktives Gemeinwesen aufzubauen. Dabei solle es jedem ermöglicht werden, seinen Teil an Verantwortung in der Gemeinschaft zu übernehmen.
Das Leitbild für nachhaltige Entwicklung war geboren.
Es ist ein ethisches Konzept. Es geht um Sinn- und Wertefragen im Bewusstsein um globale und intergenerationelle Gerechtigkeit und Verantwortung – ein Ethos für die Schulen. Ich war damals Schulleiterin einer Gesamtschule in Essen. Schüler und Eltern haben begeistert die Gedanken aufgenommen und wir haben mit der ganzen Schulgemeinschaft die Schule im Geist der AGENDA 21 aufgebaut, und später dann auch die Evangelische Schule Berlin Zentrum. Ich bin zusammen mit den Schülern viel und mit Herzblut unterwegs gewesen für das Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Von 2005-2014 war es mit der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung Ziel, BNE weltweit in nationale Bildungssysteme zu integrieren. Es gab viele BNE-Projekte und Initiativen, NGOs haben Material entwickelt, Projekte wurden ausgezeichnet. Doch letztendlich muss heute fast 25 Jahre nach Rio mit Ernüchterung konstatiert werden, dass es bisher nur äußerst unzureichend gelungen ist, BNE in den Schulen als selbstverständliche Bildungsaufgabe strukturell zu verankern. BNE wird, wenn überhaupt, als eine weitere thematische Ergänzung des traditionellen Unterrichts wahrgenommen.
Nachhaltige Entwicklung ist jedoch für die Zukunft der Menschheit von höchster Relevanz. Wir stehen vor immensen ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen, die wir meistern müssen. Es wird ein grundlegender Haltungswandel nötig sein, denn nur dadurch ist verändertes Handeln möglich. Es geht um die Transformation unserer Gesellschaft von der Konkurrenzhaltung „höher, schneller, weiter“ in die Kraft des Wir. Es geht um den ECO-System Change. Und dafür brauchen wir mutige und kreative Zukunftsgestalter. Menschen, die über ausgeprägte Lösungskompetenzen verfügen, die wertschätzend in heterogenen Gruppen kommunizieren und handeln, die es gewohnt sind, Verantwortung zu übernehmen und ihr Wissen und ihre Kompetenzen in den Dienst gemeinsamer Anliegen stellen.
Hier hat Schule hat eine große Verantwortung. Denn Schule ist wirkmächtig und prägt Einstellungen und Haltungen maßgeblich. Nachhaltige Entwicklung braucht Bildung für nachhaltige Entwicklung.
BNE bedeutet Handeln.
BNE beschränkt sich nicht auf Wissensvermittlung, sondern richtet ihren Fokus auf Handeln. Gestaltungskompetenz ist der Schlüssel. Jeder Mensch kann etwas Positives in der Welt bewirken. Junge Menschen brauchen Freiräume, um sich als Handelnde in der Gesellschaft erfahren zu können und Selbstwirksamkeit und Sinn zu erleben.
BNE bedeutet Partizipationsfähigkeit.
Partizipation ist eine hohe Kunst und muss geübt werden. So fordert es schon die AGENDA 21, die Forderung ist bis heute nicht eingelöst:
„Es ist zwingend erforderlich, dass Jugendliche aus allen Teilen der Welt auf allen für sie relevanten Ebenen aktiv an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden, weil dies ihr heutiges Leben beeinflusst und Auswirkungen auf ihre Zukunft hat. Zusätzlich zu ihrem intellektuellen Beitrag und zu ihrer Fähigkeit, unterstützende Kräfte zu mobilisieren, bringen sie einzigartige Ansichten ein, die in Betracht gezogen werden müssen.“
BNE bedeutet Herzensbildung.
Es geht um Werte. Bildung ist etwas anderes als Aneignung von Wissen. Wissen schafft keine Ethik. Es geht nicht darum: Was haben wir im Hirn? Sondern darum: Was haben wir im Herzen? Wer Bildung will, muss Beziehung schaffen. Wer Leistung will, muss Sinn anbieten. Bildung zielt auf Haltung. So konstatiert die Global Education First Initiative der UN:
„Für Bildung ist es nicht ausreichend, Individuen hervorzubringen, die lesen, schreiben und rechnen können. Bildung muss transformativ sein und gemeinsame Werte ins Leben tragen. Technische Lösungen, politische Regulierung und Finanzinstrumente allein können eine nachhaltige Entwicklung nicht erreichen. Eine Transformation des Denkens und Handels ist erforderlich. Bildung muss sich in vollem Umfang ihrer zentralen Aufgabe widmen, Menschen zu helfen, gerechte, friedliche, tolerante und inklusive Gesellschaften zu gestalten.“
Und wo stehen die Schulen heute?
Eine Studie der Leuphana Universität Lüneburg zum Nachhaltigkeitsbewusstsein der 15–24jährigen in Deutschland bringt es auf den Punkt: Was die Qualität betrifft, hat sich in der Bildungslandschaft nur wenig getan. Das Interesse, sich zu engagieren, ist bei jungen Menschen ausgeprägt, es gibt in der Schule jedoch wenig Handlungsimpulse. Der vollgepackte Stundenplan und das Fächerkorsett behindern Interdisziplinarität. Fächer-Verknüpfungen sind mangelhaft, Rahmenbedingungen für längerfristige Projekte fehlen. Vorhandenes Grundinteresse wird so kaum aufgenommen und das Potenzial zur Änderungsbereitschaft wird aufgrund fehlender Angebote durch Routine und tradierte Unterrichtsmuster verdrängt. In der Schule scheint es an alternativen Denkweisen und innovativen Ideen zu fehlen. Wesentliche Aspekte von BNE bleiben im Sinne eines zukunftsweisenden Ansatzes in der Schule unerfüllt.
Aufbruch, Umbruch, Wandel – der Sinn von Schule im 21. Jahrhundert
Nun haben die am 25. September 2015 von der Weltgemeinschaft verabschiedeten Global Goals (Sustainable Development Goals, SDGs) neuen Schwung in die Debatte um BNE gebracht und einen kraftvollen Impuls gesetzt, mit dem Fokus auf Transformation. Auch mich haben die Global Goals noch einmal neu infiziert. Und ich erlebe viele Menschen und Lehrerkollegien, die sich ebenfalls anstecken lassen. Was gibt es Sinnvolleres, als dass junge Menschen sich mit den großen Fragen der Menschheit auseinandersetzen und an Lösungen mitwirken. Das bringt den SINN, den so viele Menschen im schulischen aber auch im sonstigen beruflichen Kontext vermissen. Beizutragen, dass die Global Goals umgesetzt werden, sehe ich als DIE Aufgabe für Schule im 21. Jahrhundert. Dazu hat die UNESCO die Roadmap zur Umsetzung des fünfjährigen Weltaktionsprogramms Bildung für nachhaltige Entwicklung aufgelegt.
Ein Curriculum für die Transformation, wie kann das aussehen? Es reicht nicht, BNE für alle Fächer in Schulbüchern zu verankern. Verantwortung, Handlungsmut, Gestaltungskompetenz können nicht in tradierten Strukturen erlernt werden. Wir brauchen Mut, groß zu denken. Mut, Visionen, radikale, an die Wurzel gehende Ansätze zu wagen! Wollen wir 2030, also in 13 Jahren nachhaltige Lern- und Arbeitskulturen in der Gesellschaft umgesetzt sehen, müssen wir HEUTE die Schulen verändern. Und das bedeutet: JETZT in den Schulen die Samen dafür säen und Strukturen schaffen, dass sie aufgehen und sich entfalten können!
Zukunftsfähige Schulen setzen auf neue Lernsettings, auf eine wertschätzende Lern- und Beziehungskultur, auf Potenzialentfaltung, auf Lernen im Leben, auf Verantwortungsübernahme, auf die Gestaltung der Schule als nachhaltiger Lernort. Leben, was wir lehren! Wenn wir in diese Richtung die „Schule neu denken“, dann geht es nicht mehr um die Optimierung des Bestehenden, sondern um radikale Transformationsprozesse, in die alle in der Schule tätigen Menschen eingebunden sind.
Das Global Goals Curriculum steht für eine neue Lern- und Arbeitskultur in Schule, Organisationen und Zivilgesellschaft. Damit Kinder und Jugendliche, damit wir alle die Haltung, das Bewusstsein, die Gestaltungskompetenz und den Handlungsmut entwickeln, die es braucht, um Lösungen für die globalen Herausforderungen zu erarbeiten und umzusetzen. Ein Curriculum für die Transformation, das Menschen auf ihre Verantwortung als Zukunftsgestalter vorbereitet. Eine Allianz von Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche, die interdisziplinär und generationsübergreifend das Global Goals Curriculum entwickeln und umsetzen.
Fangen wir an! Jede und jeder, wir gemeinsam.